Café Größenwahn

 

Album, veröffentlicht am 11. Oktober 1993 in Deutschland bei Ariola (Best.-Nr. 74321161591)

 

Foto: Kramer & Giogoli

Nach einer Unruhepause von einem Jahr erschien 1993 wieder ein Album von Udo Jürgens, und dieses war schon auf den ersten Blick anders, als alle vorherigen. Auf dem Cover dominierte schrill die Farbe Rot und man sah Udo Jürgens in einem blauen Anzug sitzend auf einem goldenen Thron, aus den Armlehnen schauten Löwenköpfe hervor. Welches Bild hätte besser gepasst, als dieses, denn Café Grössenwahn wurde das Album genannt? Und man kann darüber sagen: Gut gebrüllt, Löwe!

 

Neu an dem Album war insbesondere die verschärfte Sprache, gewissermaßen die Provokation eines Beobachters der Geschehnisse in der Welt. Ein Beobachter, der sich nicht den Mund verbieten lässt. Kann man den Tanz um das goldene Kalb immer weiter tanzen? Udo Jürgens gab Antworten und herausgekommen ist ein besonderes Album unter den vielen von Udo Jürgens. Klingt so ein Schlagersänger? Oh nein, mitnichten!

 

Udo Jürgens hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er sich vor allem als Komponist verstand und sich für die Texte zu seinen Liedern lieber auf erstklassige Autoren verließ, als sie selbst zu schreiben. Für das Album CAFE GRÖSSENWAHN steuerten dann nicht weniger als acht Autoren ihre Texte bei. Darunter sind neben den Routiniers Michael Kunze und Thomas Christen auch wieder Katharina Gerwens, Thomas Spitzer  und zum ersten Mal Rainer Thielmann. 

 

In seiner Autobiographie „Unterm Smoking Gänsehaut“ erzählt Udo Jürgens, wie er mit Thomas Spitzer, dem kreativen Chef der Ersten Allgemeinen Verunsicherung, in einem Dorfgasthof zusammensaß. Sie diskutierten, blödelten und tranken den einen oder anderen Tropfen – und dabei entwickelten sie das Titellied des Albums CAFE GRÖSSENWAHN. Ganze vier Mal trafen sie sich dafür in Graz, Wien, Zürich und in Portugal (wo Udo ein Ferienhaus besaß). Das Lied mit dem eingängigen Intro (Wahn-Wahn-Größenwahn-Größenwahn-Wahn) war dann letztlich eine Gemeinschaftsarbeit von Udo Jürgens, Thomas Spitzer und Peter Wagner. Der Text ist auch heute noch sehr aktuell...

 

Wo spielt die Politik Monopoly am Pulverfaß?

Und schlägt bei Bombenstimmung jede Warnung in den Wind?

Wo hebt die kahlrasierte Dummheit ihre Faust voll Haß

Und sucht sich Feinde, die in Wahrheit Opfer sind?

 

Wo geht die Zukunft unten ohne?

Wo fliegt der Globus aus der Bahn?

Wir tanzen weiter, ohne Scham hier im Café.

 

Alles okay,

Alles klar und wunderbar!

Alles läuft nach Plan hier im Café

Größenwahn

 

Von dem damals 28jährigen Rainer Thielmann stammt der Text zu der zweiten Singleauskopplung KURZE UNTERBRECHNUNG. Das Lied ist eine bissige Kommentierung des Privatfernsehens mit seinen nervigen Werbeunterbrechungen, die mehrmals auch mitten in Kinofilmen geschahen. Thielmann sendete Udo immer wieder Textvorschläge und nach 10 Jahren hatte er das passende Thema und einen Text, der Udo gefiel. Es gab dann einige Veränderungen und schließlich stand die finale Fassung fest... 

 

Feierabend, klar zum Start.

Fast food, Fernsehen, bunt, privat.

Jeder Notruf macht mich frei.

Kabel ist der letzte Schrei.

 

Kann mich nicht

SAT(T) 1 dran seh'n.

RTeLend wunderschön...

Nettes Lächeln, bester Schlips.

Kurz ein paar Verbrauchertips.

 

Wir sehen uns in 5 Minuten wieder -

Bleiben sie dran,

wir sind gleich wieder hier...

Ein bißchen Werbung,

wir sind nur für sie da -

Eine Kurze Unterbrechung machen wir..

 

Thielmann schrieb insgesamt vier Texte für Udo Jürgens. Nach 1993 kam es noch 2008 (Album EINFACH ICH) und 2011 (Album DER GANZ NORMALE WAHNSINN) zu einer Zusammenarbeit. Thielmann gewann im Jahr 2018 den German Songwriting Award in der Kategorie Lyrics only und auf seinem YouTube Kanal erzählt er von der Zusammenarbeit mit Udo. 

 

Uli Heuel steuerte zwei Texte zu dem neuen Album bei. Es handelt sich um das Eröffnungslied und die erste Single WAS DICH NICHT UMBRINGT, GIBT DIR NEUE KRAFT ZUM LEBEN und ENGEL DER MELANCHOLIE. Letzteres hat einen wunderschönen Text, aber das Arrangement und die synthetische Instrumentierung können nicht überzeugen. 

 

Irgendwie nach dem Applaus wird die Welt mir manchmal enge;

Alle Scheinwerfer schon aus, fühl' mich einsam in der Menge.

Müde, abgebrannt und leer, Glanz und Glitter, sie verblassen -

Menschenskind, ich suche mehr, will wie träumend Glück umfassen -

Und dann streift mich mit eisigen Flügeln der, dem ich so gerne entflieh;

Mein Engel der Melancholie

 

Gert Zielke schrieb insgesamt nur zwei Texte für Udo Jürgens. Einer davon (DU UND ICH) ist auf diesem Album vertreten. Der andere (FESTSPIELFIEBER) zwei Jahre später auf dem Album ZÄRTLICHER CHAOT.  Das Lied ...UND ES GIBT DICH bildet den von den Streichern der Deutschen Oper Berlin unter der Leitung von Peter Schirmann untermalten, romantischen Abschluss des Albums. Der Text stammt von Katharina Gerwens, die als 15jährige 1971 ihren ersten Text für Udo Jürgens schrieb.

 

...Und es gibt dich!

Du bist wie Worte, Bilder, Farben und Musik,

bist mein Roman, mein Lied, mein Bild,

meine Lanze und mein Schild,

mein Immer und mein Augenblick.

 

Du bist was jetzt ist,

denn was kommt, wer weiß das schon?

Du bist mein wärmster Klang, mein klarstes Wort,

mein schönster Ton.

 

Die Lieder des Albums wurden komponiert und geschrieben zwischen Dezember 1992 und Juni 1993 in Zürich, Wien und in Udos Ferienhaus an der Argave/Portugal und die Produktion im Tonstudio fand im Frühling und Sommer 1993 unter der Regie von Produzent und Tonmeister Peter Wagner statt. Mit Udo im Studio waren damals hochkarätige Musiker, wie Frank Lüdeke und Bertold Weindorf am Saxofon, Mats Björklund, Francis Coletta, Manuel Kerbl, Jan Lankwitz und Manuel Lobids an der Gitarre oder Christian Fink an der Violine. Die Arrangements stammen von den Keyboardern Franz Bartsch, Mats Björklund, Hermann Weindorf und The Gardeners. Beteiligt waren außerdem Andy Sedlmaier (Keyboards) und das EAV-Mastermind Thomas Spitzer verstärkte den Background Chor. Die Qualität der Musiker hört man eindeutig, der Sound des Albums ist nicht aus dem Computer, sondern handgemacht.

 

CAFE GRÖSSENWAHN war das letzte Studioalbum von Udo Jürgens, welches auf Schallplatte veröffentlicht wurde, allerdings nur in einer sehr geringen Auflage von 600 Stück, was es heute zu einer unter Fans gesuchten Rarität macht. Es erschien am 11. Oktober 1993, aber ihm war kein großer Erfolg beschieden. Als Vorbote zu dem Album erschien die Maxi-Single WAS DICH NICHT UMBRINGT, GIBT DIR NEUE KRAFT ZUM LEBEN, die zweite Single war KURZE UNTERBRECHUNG und schließlich kam im Jahr 1994 noch das Titellied CAFE GRÖSSENWAHN als Single Nummer drei auf den Markt. In den Charts konnte sich das Album aber nur in Österreich platzieren, in Deutschland gelang das nicht und auch den Singles war es nicht beschieden. Der Stern des Udo Jürgens war in den 90er Jahren deutlich im Sinken und es dauerte lange, bis er wieder zu neuen Triumphen aufsteigen konnte. 

 

 

Foto: Otto R. Weisser

Das provokante Cover des Albums mit Udo auf einem Thron nimmt eine Sonderrolle unter allen Alben von Udo Jürgens ein. Laut den damaligen Werbeinfos hätte er am liebsten noch einen Hund an den Thron pinkeln lassen, aber das war dem Kreativteam dann wohl doch etwas zu viel. Die Fotos stammen von den Fotografen Kramer & Giogoli und wurden auch im Magazin Max abgedruckt, zusammen mit weiteren Aufnahmen so wie man Udo noch nie gesehen hatte: als Gottvater Wotan mit Schwert und Schild, als Hippie mit blanker Brust und Perlenketten. Es scheint, als wollte Udo sein Image deutlich verändern und neue Türen öffnen. Aber es kam anders. Erstaunlich und sehr außergewöhnlich ist, dass das Cover des Albums im darauffolgenden Jahr ausgetauscht wurde gegen ein - aus meiner Sicht - sehr langweiliges Cover, und mit diesem ist es auch heute noch im Handel.

 

Fanfact: in dem Corso-Haus in Zürich, wo Udo seit den späten siebziger Jahren ein Penthouse mit Blick auf den Zürichsee bewohnte, befindet sich das »Mascotte«, ein Club mit mehr als 100jähriger Geschichte als Tanzlokal und Diskothek. Es wird noch heute betrieben von Udos langjährigem Manager Freddy Burger und zeitweise waren auch Udo Jürgens und Pepe Lienhard beteiligt. Im Jahr 1995, also zwei Jahre nach dem Album, wurde der damals nicht mehr so gut laufende Club in „Cafe Größenwahn“ umbenannt und aus dem aus dem einst trendsetzenden Musiklokal (es traten dort u.a. auch Josephine Baker, der junge Louis Armstrong, Sammy Davis Jr. und Falco auf) wurde eine schrille Après-Ski-Bar bis endlich 2004 die Wende kam und das »Mascotte« zurück auf die Erfolgsspur gebracht wurde. Aber wenn schon Größenwahn, dann richtig – ein zweites „Café Größenwahn“ wurde 1995 von Freddy Burger eröffnet und zwar als Diskothek im Keller eines Luxushotels in Interlaken. Hier versprach man „Stimmung bar jeder Vernunft“ und neben einer blauen Theke und künstlichen Palmen gab es sogar eine Kopie der Ötzi-Mumie. Aber auch dieses „Café Größenwahn“ existiert heute nicht mehr... 

 

 

Fazit: Dieses Album hat es in sich! Der Sound ist typisch Neunziger Jahre und Udo wollte hier einen neuen Kurs einschlagen aber da war er wohl seiner Zeit voraus und das Album konnte die Fans nicht überzeugen. Dennoch lohnt es, die CD in den Player zu schieben und es einmal von vorne bis hinten komplett durchzuhören. Es bietet eine Mischung aus Melancholie und Ironie – Udo hatte eben mehrere Seiten.

 

Anspieltipps: Cafe Grössenwahn, Kurze Unterbrechung, Vater und Sohn

 

 

Lieder:

 

Was dich nicht umbringt, gibt dir 
neue Kraft zum Leben                                   (Jürgens / Heuel)

Leben in Blue Jeans                                      (Jürgens / Kunze)

Du und ich                                                     (Jürgens / Zielke)

Keine war so wie du                                      (Jürgens / Kunze)

Madonna in der Hölle                                    (Jürgens / Christen)

Stille Nacht                                                    (Jürgens / Kunze)

Kurze Unterbrechung                                    (Jürgens / Thielmann)

Café Größenwahn                                         (Jürgens, Spitzer, Wagner)

Vater und Sohn                                              (Jürgens / Kunze)

Wasser unter den Brücken                            (Jürgens / Christen)

Näher zu dir                                                   (Jürgens / Christen)

Engel der Melancholie                                   (Jürgens / Heuel)

...und es gibt dich                                          (Jürgens / Gerwens)