Das Blaue Album

 

Album, veröffentlicht am 29. Februar in Deutschland bei Ariola (Best.-Nr. 208926630)

 

 

Die Welt braucht Lieder! Dieser Aussage kann man nur zustimmen und Udo Jürgens trifft sie passenderweise mit dem gleichnamigen Lied, welches auch das Eröffnungslied seines Albums aus dem Jahr 1988 ist – dieses heißt „Das Blaue Album“. „Ich habe Blau als Symbolik für mein Album gewählt, weil Blau die Farbe mit der größten Weite ist, die ich mir vorstellen kann. Keine Grenzen, keine Mauern, keine Schranken, kein Stacheldraht; Blau ist das Meer, Blau ist der Himmel, Blau ist die Luft und das Wasser. Also alle die Dinge, die ich mit einer grenzenlosen Freiheit zusammenbringe.“  So erklärte Udo Jürgens die Titelgebung des Albums, welches im Februar 1988 in Zürich vorgestellt wurde. Nur, wer den Komödianten Udo Jürgens haben will, der wird mit diesem Album nicht auf seine Kosten kommen...

 

Das Album kann seine Entstehung in den 1980er Jahren nicht verleugnen - der ganze Sound verrät es, denn alle Basisaufnahmen wurden ausschließlich mit Synthesizern eingespielt, aber dennoch klingt das Album nicht wie aus dem Computer. Die wunderbaren Arrangements von Peter Schirmann und Georges Walther verbinden die elektronisch erzeugten Klänge ganz natürlich mit denen der Streicher der Deutschen Oper Berlin und fünf Gastmusiker setzen ihre Akzente. Sie geben dem Album einen besonderen Klang, der dieses aus den vielen von Udo Jürgens klar herausstehen lässt.

 

 

 

Nachdem Udo sich von der Erfolgstournee „Deinetwegen“ erholt hatte, kam es „wie ein aufschließender Wasserfall“ über ihn, so erzählte er im Rückblick. „Ich habe mich hingesetzt und wie ein Besessener die ganzen Dinger geschrieben, manchmal bis zu fünfzehn Stunden am Tag“ so heißt es in den Promotion-Materialien die mit der Veröffentlichung an Musikjournalisten verteilt wurden. Die Musik zu allen Liedern hat Udo wie meist selbst komponiert und die Arbeit von Udo und seinen Textdichtern Michael Kunze, Friedhelm Lehmann und Thomas Christen dauerte von Mai bis Dezember 1987. Gleich das erste Lied des Albums hat es in sich. „Die Welt braucht Lieder“ vereint zwei Themen in sich: die Aufmunterung, zu seinen Überzeugungen zu stehen und seine Stimme zu erheben, auch wenn man damit alleine ist. Gleichzeitig aber glaubwürdig zu bleiben und voller Hoffnung und Geduld durch die Musik für das Gute zu werben. Wie könnte man da widersprechen?

 

Deine Stimme erheben und singen -
gegen die Schwerkraft der Melancholie
alle Schatten der Angst überspringen
in einer Sprache der Philharmonie -
immer, immer wieder - immer, immer wieder:
Die Welt braucht Lieder!

 

Dieses Lied war nicht nur Teil des Openings bei der Tournee „Ohne Maske“ im darauffolgenden Jahr, bei „Open Air Symphony“ und auch bei Udos Solokonzerten 2005, sondern es nahm diesen besonderen Platz auch bei Udos letzter Tournee ein, die im Jahr 2014 unter dem Titel des damaligen Albums „Mitten im Leben“ begann und die er aber leider nicht mehr zu Ende führen konnte. Drei verschiedene Versionen sind zum Glück durch die Konzertmitschnitte erhalten und belegen auf beeindruckende Weise, wie der Künstler Udo Jürgens seine Botschaften in wunderbare Musik gekleidet hat. Die erste Single-Auskopplung war „Eis zu Feuer“, „ein poppiger Song im Rhythmus und Sound der heutigen Zeit“ so der damalige Werbetext. Das Lied sei „geprägt vom Ausdruck vollkommener Hoffnung“ und es handele von „der Liebe als Ausweg aus der Apokalypse“. 

 

Solang ein Mensch
noch einen andern liebt
führt ein Licht
aus jeder Nacht

 

Und wenn das Eis zu Feuer wird
und alle Mauern beben
Wenn Trommeln der Gewalt regier’n
sei da für mich

 

Und wenn das Licht der Sonne stirbt
mein Traum wird überleben
Nie werde ich den Mut verlier’n
denn ich glaub' an Dich

 

Dass die aus dem Album ausgekoppelte Single sich nicht in den Charts platzieren konnte ist verwunderlich, denn das Lied der B-Seite „Gehet hin und vermehret euch“ sorgte für einige Aufregung. In diesem thematisiert Udo die Überbevölkerung und er kritisiert dabei die Kirche. Zwar hatte Udo wohl mit Reaktionen auf sein Lied gerechnet, nicht aber erwartet, dass diese so heftig ausfallen würden. Dies beunruhigte ihn zunächst schon etwas, wie damals berichtet wurde. Was war geschehen? Zwar gab es schon kurz nach der Veröffentlichung ein einhelliges Echo und viel Lob der Radiostationen aber auch starke Kritik. Der Bayerische Rundfunk weigerte sich auf Empfehlung der deutschen Bischofskonferenz, das Lied zu spielen und dem Boykott schlossen sich weitere Radiosender an. Aber von den Hörern gab es viel Zuspruch und eine wahre „Schwemme von Fanpost, Gratulationsschreiben und Sympathiebekundungen“. Der Sprecher der Tagesthemen, Hanns Joachim Friedrichs, sprach den Prolog des Liedes und er endete mit den Worten „5 Milliarden sind genug“. Als das Lied entstand, lebten auf der Erde 5 Milliarden Menschen. Heute sind es bereits 8 Milliarden und einige Wissenschaftler rechnen damit, dass noch einmal weitere 2 Milliarden Menschen hinzukommen und dann ein Maximum erreicht wird. Kaum vorstellbar, was das für den Planeten bedeuten wird...

 

Die 10. Milliarde ist vorprogrammiert
So schnell ist die Menschheit noch nie explodiert
Werft ja keinen Blick in die Zukunft zurück
Nach uns die Sintflut, vor uns das Glück
Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel
Hat da nicht der Teufel die Hände im Spiel?

 

Das Lied wurde später zum ersten Teil einer „Sinfonischen Trilogie“ erklärt, und diese sollte bei der GEMA im Bereich der E– Musik (zu dem auch die klassische Musik gehört) angemeldet werden. Als Teil zwei wurde das im Jahr 1979 mit den Berliner Symphonikern aufgenommene „Wort“ und Teil drei wurde im Jahr 2000 dann „Die Krone der Schöpfung“. Zusammen sind alle drei Teile 35 Minuten lang, aber leider kam es nie zu einer Aufführung der kompletten Trilogie mit großen Orchester.

 

Mit dem Thema in Blau I + II hat sich Udo für seine Fans zwei besondere Instrumentalstücke einfallen lassen, bei denen sein unverwechselbares Klavierspiel im Vordergrund steht, welches in einem opulenten Arrangement durch die Streicher der Deutschen Oper Berlin unterstützt wird. Die beiden Themen sind gleichzeitig Zwischenspiel und Vorspiel zu den darauffolgenden Stücken („Eis zu Feuer“ bzw. „Moskau – New York“). Udo verwendete die Melodien später noch einmal für den Soundtrack der TV-Serie „Das Traumschiff“, wo er für zwei Folgen die Musik beisteuerte.
 
Das Lied „Die verbotene Stadt“ handelt von dem beeindruckenden Kaiserpalast in Peking und es kommt mit chinesischen Klängen von Flöte und Gong daher. Man darf annehmen, dass die Inspiration dazu Udo ein Jahr zuvor gekommen ist. Er trat bei der ersten deutsch-chinesischen Fernsehshow „Heut’ Abend in Beijing“ auf, welche am 1. August 1987 in der ARD ausgestrahlt wurde und die damals Angabe gemäß von bis zu 400 Millionen Fernsehzuschauern gesehen wurde. Udo bestritt mit der chinesischen Starsängerin Cheng Fangyuan einen Showblock, bei dem sie begleitet vom Pepe Lienhard Orchester auch ein Duett sangen. Für diese Show wurde Udo mit der Goldenen Kamera ausgezeichnet und als erster und einziger Musiker aller Zeiten, so die Erzählung, spielte er in der Verbotenen Stadt.
 
Das Lied „Moskau-New York“ erzählt von der Hoffnung, dass der kalte Krieg zwischen Ost und West zu Ende gehen möge und angesichts der Ereignisse des darauffolgenden Jahres kann man es als geradezu prophetisch bezeichnen. Leider zieht in diesen Monaten ein neuer kalter Krieg herauf und die Hoffnungen von damals sind zerstoben...
 
All die Tage des eiskalten Kriegs
 liegen weit in der Ferne.
In der Tiefe des Meeres versinken 
Milliarden Gewehre,
Generäle - egal wo sie steh'n
Entlassen die Heere.
 
Moskau - New York
Alles was trennt überwinden,
Moskau - New York
Gemeinsamkeit wiederfinden,
 
Ich sah' die Liebe, die Feuer fing,
Es war am Tag,
Als der Haß unterging.
 
Das letzte Lied des Albums heißt „Da Capo“ und dieser Ausdruck steht in der Musik für „nochmal von Anfang an“. Dieses Stück ist sicherlich eines der persönlichsten Lieder von Udo. Er erzählt vom Ende eines Konzertes, wenn der Vorhang fällt und die letzten Lichter ausgehen, wenn die Stille eintritt und der Applaus verklungen ist. Und er blickt zurück zum Beginn des Konzertes, als er voller Angst den Saal betrat (und Udo hatte tatsächlich zeitlebens großes Lampenfieber vor Auftritten) und dort die Menschen auf ihn und seine Lieder warteten. Nochmal von Anfang an – Da Capo. Diesen Titel trägt auch der im Jahr 2022, also acht Jahre nach seinem Tod, erschienene Rückblick auf das musikalische Schaffen von Udo Jürgens. Auf drei CDs erklingen viele der „Stationen einer Weltkarriere“, so der Untertitel, noch einmal und „Da Capo“ setzt auch hier den Schlusspunkt, wie man ihn nicht hätte schöner in Worte und Töne fassen können:
 
Da Capo 
nochmal von Anfang an,
mit euch auf die Reise geh’n,
kein Ende seh’n.
 
Da Capo
ich blieb so gerne da,
Liebe, die die Zeit bezwang
ein Leben lang
 
Die Aufnahmen fanden im Januar und Februar 1988 in den Studios Hansa 1 in Berlin sowie im Powerplay-Studio Zürich-Maur statt. Produziert wurde das Album von Udo Jürgens und Peter Wagner, es war bereits ihre vierte Zusammenarbeit, die mit dem Album „Hautnah“ im Jahr 1984 begann. Wagner produzierte alle weiteren Alben von Udo bis zu seinem letzten im Jahr 2014 und damit prägte er den „Udo-Sound“ über ganze 30 Jahre. Mit im Studio waren für „Das Blaue Album“ die Gitarristen Laszlo Spiro und Ralph Rudnik, der Saxophonist Frank Lüdeke und Georges Walther sowie Franz Bartsch an den Keyboards. Art Director Manfred Vormstein hat mit dem Cover des Albums eine sehr stimmige Entsprechung zu den Liedern geschaffen und die Fotos – Udo im blauen Blazer vor einer blauen Mauer - wurden von Udos Bruder, dem Fotografen Manfred Bockelmann, vermutlich in New York aufgenommen, während dieser dort lebte und als Malter und Fotograf arbeitete. 
 
Die Plattenpremiere fand am 29. Februar 1988 in besonderem Rahmen bei einer vom Züricher Radiosender „Z“ live übertragenen Veranstaltung aus dem blau erleuchteten Club „Mascotte Action 1“ im Corso-Haus statt, in dem sich auch Udos Penthouse-Wohnung mit Blick auf den Zürich-See befand. Zum farblich passenden Blue Curaçao Cocktail sagte Udo die Präsentation jedes der 12 Lieder mit persönlichen Anmerkungen für die von der Plattenfirma BMG eingeladenen 80 Medienvertreter an. Mit dabei waren die drei Texter Kunze, Lehmann und Christen, Co-Produzent Peter Wagner und Arrangeur Georges Walther. Gefeiert wurde anschließend im Nouvelle-Restaurant „Blaue Ente“ mit einem wieder passend abgestimmten Menü: Blaukohlsuppe, „Canard Bleu“ und exotische Früchte auf blauem Gelee.   
 
Udo Jürgens warb für sein Album in mehreren TV Sendungen, darunter „Wetten, daß...“ am 3. April 1988. Das Album stieg am 21. März auf Platz 60 in die deutschen Charts ein und sprang in der Woche darauf direkt auf Platz 14, die höchste Platzierung, die es erreichte. Die beiden Singles konnten sich aber nicht in den Charts platzieren. Passenderweise wurde die erste Auflage der Langspielplatte auch in blauem Vinyl produziert, das Album erschien gleichzeitig als LP, CD und MC und ist heute auch über Streaminganbieter verfügbar.
 
Fazit: 
Ein grandioses Album im Sound der achtziger Jahre. Das Lied „Gehet hin und vermehret euch“ erregte bei Erscheinen einen Skandal und wurde zum Auftakt einer sinfonischen Trilogie. Unbedingt hörenswert!
 
© Text: Daniel Speck

 

 

Lieder:
Die Welt braucht Lieder (Udo Jürgens / Friedhelm Lehmann)
Thema in Blau I (Udo Jürgens)
Eis zu Feuer (Udo Jürgens / Michael Kunze)
Die Zeit der Zärtlichkeit (Udo Jürgens / Michael Kunze)
Flieg', Flamingo (Udo Jürgens / Friedhelm Lehmann)
Gehet hin und vermehret Euch (Udo Jürgens / Friedhelm Lehmann, Udo Jürgens)
Hast Du heute schon gelebt (Udo Jürgens, Michael Kunze, George Walther)
Die Verbotene Stadt (Udo Jürgens / Michael Kunze)
Wir zwei (Udo Jürgens / Thomas Christen)
Hallo, ich bin's (Udo Jürgens / Friedhelm Lehmann)
Thema in Blau II (Udo Jürgens)
Moskau - New York (Udo Jürgens / Thomas Christen)
Da Capo (Udo Jürgens / Thomas Christen)