Jenny
Single, veröffentlicht am 12. Oktober 1960 in Deutschland bei Polydor (Best.-Nr. 24361)
Man kann sicherlich mit Fug und Recht sagen, dass das Lied ‘Jenny’ eine besondere Bedeutung für Udo Jürgens hat. Viele denken wahrscheinlich, er hätte es für seine Tochter Jenny geschrieben, aber dann hätte er eine Zeitmaschine gebraucht. Das Lied ‘Jenny’ erblickte nämlich schon 7 Jahre vor seiner Tochter das Licht der Welt...
Im Buch ‘Der Mann mit dem Fagott’ erinnert sich Udo daran, wie er 1959 in Wien das Lied komponierte und dabei auf dem alten Bösendorfer Flügel in der Wohnung der Eltern seiner Freundin Gitta an Melodie und Tonart herumfeilte. Es sollte ein bisschen wie ein Schubert-Lied klingen, man würde Streicher brauchen und natürlich ein Klavier. Nur mit dem Text war es, wie Udo in dem Buch erzählt, nicht so einfach, denn aus seiner Sicht klängen emotionale Texte in deutscher Sprache schnell lächerlich oder peinlich, während die banalsten Aussagen in Englisch sehr lässig und gut klängen. Man müsste sich an französischen Chansons orientieren, weil sie die Alltagssprache in die Texte bringen würden. ‘Jenny’ ist eines der wenigen Lieder, für die Udo Jürgens nicht nur die Musik, sondern auch den Text selbst geschrieben hat. Und dieser ist ihm außerordentlich gut gelungen. Er wollte nach eigenen Angaben eine kleine Liebesgeschichte mit schlichtem und einfachem Inhalt erzählen, und genau das ist ‘Jenny’ auch. Da ist nichts zu viel, da stimmt alles...
Im Juli 1960 trat Udo Jürgens mit dem Lied ‘Jenny’ beim Musikfestival im belgischen Knokke an und er gewann damit die Einzelwertung. Anschließend wurde das Lied oft im belgischen Radio gespielt und dieser Erfolg bewog seine damalige Plattenfirma Polydor dazu, eine Aufnahme zu produzieren, wenn auch mit einfachsten finanziellen Mitteln. Nur eine Orgel, ein Bass, ein Schlagzeug und eine einzige Geige wurden ihm bewilligt. Nach einigem Herumprobieren wurde der beste Hallraum im Studio gefunden - es waren die Studiotoiletten in denen die Geige und die Orgel beinahe wie ein ganzes Orchester klangen. Und eben jene Aufnahme wurde ein großer Erfolg. Veröffentlicht als Single am 12. Oktober 1960 mit der B-Seite ‘Wo mag die Liebe sein’ erreichte sie im gleichen Monat Platz 8 in den belgischen Charts, wo sie sich eine Woche halten konnte. Insgesamt war sie in den belgischen Charts 16 Wochen vertreten. In Deutschland gelangte sie erst im Februar 1961 in die Charts und erreichte dort Platz 36. Sie ist Udos erste Notierung in den offiziellen Deutschen Charts, und so feiern wir im Oktober 2020 und 60 Jahre nach der Veröffentlichung ein ganz besonderes Jubiläum.
Das Lied ‘Jenny’ war die zweite Komposition von Udo Jürgens, die je auf Schallplatte veröffentlicht wurde. Neben der Single-Veröffentlichung von 1960 - übrigens der ersten mit einem ansprechend gestalteten Foto-Cover - wurde ‘Jenny’ im Jahr 1965 auch auf Udo Jürgens’ erstem Album ‘Portrait in Musik’ veröffentlicht. Von ‘Jenny’ existieren auch zwei Versionen in englischer Sprache. Nach dem Erfolg der Single in Belgien und Deutschland wurden 1961 sowohl die A-Seite als auch die B-Seite in Englisch als Single ‘Jenny, Oh Jenny’ / ‘Oh what a fool I've been’ herausgebracht. Der englische Text von ‘Jenny’ stammt aber nicht von Udo, sondern von Albert Beach. Diese Single erschien in Großbritannien bei Polydor, in Deutschland bei Brunswick und sie erschien sogar auf der anderen Seite des Atlantiks in den USA und Kanada, nämlich bei dem Label DECCA. Im Jahr 1970 schließlich wurde eine Neuaufnahme von ‘Jenny’ mit englischem Text in Südafrika als Single veröffentlicht. Diese Rarität ist außer in Südafrika und Japan bisher nirgendwo erchienen.
Für Udo Jürgens selbst muss das Lied ‘Jenny’ eine besondere Bedeutung gehabt haben, sonst hätte er es nicht in den Jahren 1970 und 1996 neu aufgenommen. Die Version von 1970 - sie hat interessanterweise ein leicht abgewandeltes musikalisches Thema - wurde mit Orchester aufgenommen und ist vermutlich also die Version, die Udo schon in den 60er Jahren gerne realisiert hätte, was aber die Polydor damals nicht ermöglicht hat. Auch der Gesang unterscheidet sich sehr von der ersten Aufnahme, wo Udo - mit rollendem ‘R’ - angehalten wurde, im Stil des damals sehr erfolgreichen Freddy Quinn zu singen. Veröffentlicht wurde die 1970er Version in Deutschland nie als Single, sondern nur auf Compilations. Als Single-EP erschien sie 1970 nur in Holland.
Die Version von 1996 erschien auf dem Album ‘Gestern - Heute - Morgen’ und wurde modern produziert. Insgesamt gibt es also fünf Studio-Versionen von ‘Jenny’. Erstaunlicherweise wurde in Deutschland nie eine Konzertaufnahme dieses für Udo so bedeutenden Liedes veröffentlicht. Nur auf der unter Fans sehr begehrten Rarität ‘Live in Japan’ von 1973 ist Jenny vertreten, und zwar teilweise mit deutschem und teilweise mit englischem Text, eine Rarität also in doppelter Hinsicht.
Text: Daniel Speck